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Sexueller Missbrauch: Offener Brief an Bundespräsident Fischer

in Betroffene berichten, Politik

Wien, 20.6.2012

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Dr. Fischer,

Mit großer Verwunderung haben wir erfahren, dass Sie den sog. „Zwischenbericht“ der Klasnic-Kommission  „dankend“ entgegengenommen haben.

Die Klasnic-Kommission wurde von der katholischen Kirche mit dem offiziellen Ziel eingerichtet, Betroffenen freiwillig und unbürokratisch zu helfen bzw. diese zu entschädigen. Die Realität liefert freilich ein anderes Bild. Offensichtlich dient die Kommission auch dazu, Kritik von der katholischen Kirche abzuwenden und die Einberufung einer staatlichen Untersuchungskommission (z.B. nach dem Vorbild Irlands) zu verhindern. Leider hat in Österreich eine konsequente Aufarbeitung im Sinne der Opfer nie stattgefunden. Wir haben Informationen, dass 35 pädokriminelle Priester nach wie vor im Amt sind, einige von ihnen sogar nach wie vor mit Kindern arbeitend. Die meisten dieser Fälle sind der Klasnic-Kommisison bekannt.

Die Unterstützung des Bundespräsidenten bedeutet öffentliche Anerkennung für die katholische Kirche: eine Institution, die sich über Jahrzehnte schwerer Verbrechen schuldig gemacht hat – die Ausübung sexueller und körperlicher Gewalt an Kindern und deren Vertuschung. Die Kirche übt tiefgreifenden Einfluss auf Politik und Verwaltung aus und hat die strafrechtliche Verfolgung von Sexualdelikten massiv erschwert. Kein Wunder: eine kirchlich eingerichtete Kommission zur Aufklärung der eigenen Sexualverbrechen ist absurd. Sie verdient nicht die „dankende Anerkennung“ seitens des Bundespräsidenten einer demokratischen Republik.

Die Klasnic-Kommission wird tw. von Personen geleitet, die ein unangemessenes Naheverhältnis zur Kirche aufweisen. Ex-Landeshauptfrau Klasnic ist Trägerin des kirchlichen „Gregorius-Ordens“. Die Vizepräsidentin des VfGH wurde von der kirchennahen ÖVP ins Amt gehievt. Dennoch konnte so in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, die Kommission sei eine quasi-staatliche Einrichtung.

In Zeiten des Misstrauens gegenüber einer zunehmend korrupten und von engen parteipolitischen Interessen geprägten Politik ist Ihre öffentliche Unterstützung für die Kirche abzulehnen. Diese hat die Vertrauenskrise, in der sie sich befindet, selbst verursacht. Gerade ein Repräsentant staatlicher Autorität wie der Bundespräsident muss ein klare ethische Haltung beim Umgang mit Sexualverbrechen an Kindern an den Tag legen. Mit Ihrem Lob für die Arbeit dieser „Täterschutz-Kommission“ unterstützen Sie ein System der politisch geduldeten Verharmlosung und Vertuschung sowie der Verhöhnung und Missachtung der Opfer.

Als Bundespräsident eines demokratischen Landes brauchen die Betroffenen Ihre Unterstützung bei ihrem Anliegen, dass eine staatliche Untersuchungskommission für Kirchenmissbrauchsfälle errichtet werden möge. Um glaubwürdig die legitimen Interessen der Kirchenopfer wahrzunehmen, muss Ihre Partei endlich eine glaubwürdige Trennung von Staat und Kirche forcieren. Wir bedauern, dass Sie bis heute nicht bereit waren, Mitglieder der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt zu empfangen. Dies wirft ein bezeichnendes Bild auf Ihre Haltung in dieser Angelegenheit.

Wir ersuchen Sie, sich von dem entgegengenommenen „Zwischenbericht“ zu distanzieren –zumal Sie diesen auch nicht in Auftrag gegeben haben – und sich endlich für eine grundlegende Aufarbeitung eines der größten Verbrechen der Nachkriegszeit einzusetzen.

Sollten Sie an umfassenden Informationen über das tatsächliche Ausmaß der kirchlichen Sexualverbrechen und deren systematischer Vertuschung interessiert sein, stehen wir Ihnen für ein Gespräch gerne zur Verfügung.

Sepp Rothwangl, Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt,